Eine Weihnachtsgeschichte aus der Kaserne.
Von Freiherr v. Schlicht.
in: „Märkischer Sprecher” vom 20.(Drittes Blatt), 21. und 22.12.1894,
in: „Dortmunder Zeitung” vom 25.12.1894
„Wenn ich auf eine Stube komme, will ich weder von Euch noch von Euren Sachen etwas sehen,” war das Wort, das der Feldwebel der 2. Kompagnie seinen neuen „Kindern” gleich, als sie als Rekruten eintraten, beigebracht hatte, und die Leute hatten sich dies Wort hinter die Ohren geschrieben. So oft der Feldwebel eine Stube betrat, flogen die Kerls wie ein dreimal geölter Blitz von ihren Schemeln in die Höhe, rissen alles an sich, was etwa von ihren Sachen irgendwo herumlag, und bemühten sich, sich möglichst unsichtbar zu machen; denn mit dem Feldwebel wollte kein Mensch etwas zu thun haben, weder im Guten, noch im Bösen. Für gewöhnlich sahen die Stuben im Kompagnierevier daher wie geleckt aus, aber heute schien es, als wenn das Wort Säuberung im militärischen Lexikon gar nicht aufgeführt wäre. Die größte Unordnung herrschte aber entschieden auf der großen Stube Nr. 238; doch merkwürdigerweise fluchte selbst der Feldwebel nicht, als er über die Schwelle stolperte und mit seiner ganzen Dicke in die Stube hineinfiel. Und als die halbe Kompagnie diensteifrig herbeieilte, um die gefallene „Mutter” wieder aufzurichten, winkte er gnädig und sagte: „Kinder, laßt Euch nicht stören.”
Gestern Abend nach Beendigung der Flick- und Putzstunde hatten die Korporalschaftsführer ihren Leuten eine vorher verabredete Ermahnung zu Theil werden lassen: „Ihr werdet jetzt zur Stadt gehen,” so hatten sie gesprochen, „und daran denken, daß morgen Weihnachten ist. Zur Weihnacht gehört ein Tannenbaum, natürlich ein möglichst großer. Wo Ihr den herbekommt, ist Eure Sache, aber ich erwarte von Euch, daß Niemand von Euch ohne einen Tannenzweig heimkehrt, und wer seine anständige Gesinnung beweisen will, bringt einen Tannenbaum mit. So, nun geht und bemüht Euch, meine Zufriedenheit zu erwerben.”
Wie die Rotte Korahs waren die Mannschaften die Treppen hinuntergestürzt und als es 9 Uhr schlug und der Hornist auf der Wache zum letzten Male das Locken blies, kamen die Leute wieder nach Hause gestürmt, und man hätte glauben können, daß ein Tannenwald lebendig geworden sei. Wo sie es herbekommen hatten, wußte Keiner, es war auf alle mögliche Art und Weise zusammengebracht, und nun galt es, die große Stube festlich für den Abend zu dekoriren. Schon in aller Herrgottsfrühe waren die Betten hinausgeworfen worden und standen nun in einer langen Reihe, immer zu zweien übereinander, im Korridor. In der Mitte der Stube waren zwei große, fast bis zur Zimmerdecke reichende Tannenbäume aufgestellt, während man die kleinen entzwei geschlagen hatte, um mit den Zweigen die Wände zu schmücken. Der Tapezier der Kompagnie stand in einem Chaos von Fahnen, die er an den Stäben malerisch in- und durcheinander festnagelte, und ein anderer Theil der Leute war damit beschäftigt, mit ihren steifen und ungeübten Fingern Ketten und Netze aus buntem Papier zu schneiden. Die ganze Kompagnie war thätig, um Alles für den Abend so schön wie möglich zu gestalten, die Stube 238 glich einem großen Bienenkorbe, in dem eine Revolution ausgebrochen war; das stieß, drängte und wälzte sich Alles durcheinander, 137 Menschen sprachen alle gleichzeitig auf einader ein und auf der sonst so stillen und ruhigen Stube war heute der Teufel los.
Aber unter allen den Frohen und Glücklichen war Einer, der mit sehr gemischten Gefühlen den Vorbereitungen zum Festabend zusah, oder richtiger gesagt. gar nichts davon sah. In einer stillen Ecke hatte der Musketier Zintelmann auf einem etwas wackeligen Schemel Platz genommen und grübelte, den sorgenschweren Kopf auf beide Hände gestützt, vor sich hin. Er phlosophirte, und das A und O, der Anfang und das End seiner philosophischen Betrachtungen war stets ein und dasselbe Ergebnis: „Mensch, was war ich doch für ein kolossales Rindvieh!” Es war ja klar wie Kloßbrühe gewesen daß er reinfallen werde, aber daß dies mit einem solchen Eklat geschah, hatte ihn doch gewaltig „aus die Kontenance” gebracht, obgleich er sich sonst, wenigstens den jüngeren Kameraden gegenüber, stets rühmte, daß ihm Alles „schnuppe” sei. Er hatte die besten Vorsätze gehabt, ganz gewiß, aber was nützt das Alles, wenn es böse Menschen gibt, die uns immer wieder zu bösen Thaten verleiten!
Gestern nach beendigter Putzstunde war auch er ausgegangen, um etwas für den Weihnachtsabend zu besorgen. Er hatte gerade mit dem Händler wegen einiger loser Tannenzweige verhandelt, als er sich plötzlich angeredet sah und seine „Braut” erblickte.
„Herr Gott, Lotte, wo kommst Du denn her?”
Sie hatte ein sehr schlaues Gesicht gemacht, sich an seinen Arm gehängt und dann das schöne Lied gesungen: „Einkäufe machen sollten wir eigentlich, aber wir thun nur so!”
Das war ja ganz sein Fall gewesen, er hatte Tannenbaum Tannenbaum sein lassen und hatte seiner Lotte nach allen Regeln der Kunst den Hof gemacht. Aber nur zu schnell — gerade als sie sich unter einem Thorweg fest umschlungen hielten und sich ewige Liebe schwuren — hatte die Abschiedsstunde geschlagen. Von der Kaserne blies der Hornist, und er mußte sich beeilen, wenn er noch vor Thoresschluß heimkehren wollte.
„Und mußt Du wirklich schon gehen, kannst Du nicht noch bleiben? Bis Elf habe ich Zeit,” hatte sie mit leiser, schmeichelnder Stimme gebeten. Aber sein Pflichtgefühl hatte gesagt: „Ich muß nach der Kaserne, sonst werde ich eingesperrt.”
Das hatte sie eingesehen, aber schließlich war sie auf einen Ausweg gefallen.
„Kannst Du nicht nachher wiederkommen? Die Fernster der Kaserne sind ja so niedrig — es merkt's ja Keiner.”
Mit Entrüstung wies er diesen Vorschlag zurück, nein, nie und nimmermehr! Aber sie bat und flehte und schmeichelte, daß er endlich versprach, sich die Sache zu überlegen.
„Bis 10 Uhr warte ich, wenn Du dann nicht da bist, gehe ich heim,” rief sie ihm nach, als er im Marsch Marsch der Kaserne zu eilte.
Fest stand bei ihm der Vorsatz, Lotte warten zu lassen; aber als er sein Bett aufgesucht hatte und die Unterhaltung der Kameraden verstummt war, hatte er Zeit und Ruhe, über den Vorschlag nachzudenken. Indeß schon nach wenigen Minuten war er sich darüber klar, daß er nicht fortgehen wolle; das fehlte gerade noch, daß er sich zu Weihnachten einsperren ließe!
Aber wenn es gar nicht bemerkt wird? Der Teufel gab ihm diesen Gedanken ein, und nun begannen die Zweifel: „Wird es bemerkt oder wird es nicht bemerkt? Soll ich oder soll ich nicht?” Er begann zu zählen: ja — nein, ja — nein. Er überlegte alle Eventualitäten, dann erhob er sich aber leise, kleidete sich an, und nach einer Minute umarmte er seine ihn mit Ungeduld erwartende Lotte.
Ach, sie war doch so nett, so lieb und gut! Wie im Fluge verging die Zeit unter ihrem Geplauder, und nachdem er Lotte nach Hause begleitet, suchte auch er wieder sein Heim auf. Alles ging gut, kein Mensch hörte ihn, wie er durch das Fenster kletterte, und er war gerade im Begriff, seinen langen Extramantel auszuziehen, als sich plötzlich die Thür öffnete und der Feldwebel mit einer Lampe in der Hand vor ihm stand.
„Ah, sieh da, Herr Zintelmann, es ist doch gut, wenn die Vorgesetzten ein wachsames Auge haben, — sagen Sie mal, wo wollen Sie denn noch so spät hin?”
Fast hätte ihn der Schlag gerührt, als er den Feldwebel so plötzlich vor sich sah, dann stotterte er: „Ich — will nirgends hin.”
„Und warum sind Sie nicht im Bett?”
„Mich fror so, Herr Feldwebel.”
„Und damit Sie warm werden, ziehen Sie sich Stiefel an, die ganz voll Schnee sind? Na, mein Sohn, wir sprechen uns morgen wieder — im Uebrigen gute Nacht!”
Das war eine schöne Nacht gewesen, kein Auge hatte er zugemacht, sondern alles Böse, was es auf der ganzen Welt gab, auf das Haupt des Feldwebels heraufbeschworen. Konnte er nicht eine Minute später kommen? Aber es ist ja nun einmal eine charakteristishe Eigenschaft der Vorgesetzten, daß sie stets dann erscheinen, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann, und seufzend hatte Zintelmann sich in sein Geschick gegeben. Natürlich wurde er eingesperrt, das war ja klar, um nicht zu sagen „Klärchen”, davon rettet ihn kein Mensch. Es war das erste Mal, daß er bestraft werden sollte, und eine tiefe Muthlosigkeit befiel ihn. Schließlich war es wohl nicht so schlimm, drei Tage abzureißen; was Andere aushielten, würde er auch wohl ertragen. Aber daß er gerade heute, heute am Heiligen Abend — es war zum Rasendwerden!
Er hatte sich den ersten Weihnachtsabend, den er nicht bei seinen Eltern zubringen konnte, eigentlich anders gedacht. Bisher hatten die Alten streng darauf gehalten, daß er zum heiligen Fest stets bei ihnen war, aber seine Einberufung zu den Soldaten nach einer ferner gelegenen Garnison hatte darin Wandel geschafft. Natürlich konnte er als junger Soldat nicht daran denken, Urlaub zu bekommen; zwar hatte ihn dies zuerst mit großer Trauer erfüllt, abe die Kameraden hatten ihm so viel davon erzählt, wie hübsch es am Weihnachtsabend bei ihnen wäre, daß er schließlich, anstatt traurig zu sein, sich darüber freute, daß er den heiligen Abend in der Kompagnie mitfeiern dürfe.
Und nun saß er da und wartete auf den Augenblick, wo er in die Feldwebelstube gerufen würde, um aus dem Munde seines Kompagniechefs seine Strafe zu hören.
„Kannst Du Schafskopf denn nicht sehen?”
Mit einem wuchtigen Fußtritt stieß er nach dem Kameraden, der über seine Füße stolperte. Aber der Gestoßene, empört über die ihm zu Theil gewordene Behandlung, erhob drohend seine Rechte, und eine Weile später wälzten sich die Beiden auf der Erde, sich gegenseitig mit den Fäusten bearbeitend, daß das Blut nach wenigen Sekunden floß. Man trat hinzu, um die Streitenden zu trennen, aber Zintelmann fuchtelte mit seinem rechten Stiefelabsatz so energisch in der Welt herum, daß lange sich Niemand in seine Nähe wagte, bis sie endlich Alle, wie auf ein verabredetes Zeichen, über ihn herfielen und ihn verprügelten, daß ihm Hören und Sehen verging. Endlich ließen sie ihn los, und knirschend vor Wuth erhob er sich. Wie gerädert am ganzen Leib sank er wieder auf seinen Schemel nieder. Hatte sich denn die ganze Welt gegen ihn verschworen, war das das schöne Weihnachtsfest, auf das er sich so gefreut hatte? Mit grimmiger Wuth blickte er auf die Kameraden, die ihre Beschäftigung wieder aufgenommen hatten.
„Ja, ja, kiek Di det man ordentlich an, min Jung, hüt Abend bist Du doch all bi Vater Philippen,” höhnten ihn die Freunde. Es zuckte ihm an allen Fingern, den kaum beendeten Streit wieder zu beginnen, aber er fühlte die Erinnerung daran nur zu deutlich, und so genügte er sich denn damit, ihnen einen verächtlichen Blick zuzuwerfen.
Da öffnete sich die Stubenthür und der Feldwebel trat herein, einen Zettel in der Hand haltend. „Ist Zintelmann hier?”
„Zu Befehl, Herr Feldwebel.”
„Ah, sieh da, da bist Du ja. Na, mein Sohn, dann kram nur Deine Sachen zusammen und komm mit: drei Tage strengen Arrest.”
Der Arme trat an sein Spind und nahm die Sachen heraus, die er in die Arrestanstalt mitnehmen mußte: den Rest seines Kommißbrodes und seine Putzsachen. Dann folgte er dem Feldwebel, nachdem er noch einen traurigen Blick auf den Tannenbaum geworfen hatte. Aber schon nach 5 Minuten erschien er wieder. Er las die Frage aus den erstaunten Gesichtern der Kameraden: „Alles besetzt, heute Abend um 8 Uhr wird erst ein Stall frei.” Und plötzlich überfiel ihn eine ausgelassene Heiterkeit, bis um 8 Uhr war er noch sein freier Herr, um sieben Uhr war die Bescheerung, dann konnte er ja doch noch Weihnachten mit feiern, und als gälte es, das Versäumte nachzuholen, machte er sich daran, den Kameraden bei der Ausschmückung zu helfen.
Pünktlich um sieben Uhr stand die Kompagnie auf dem Korridor zur Bescheerung bereit. Um sechs Uhr war der Feldwebel mit seinem Schreiber, beide mit unzähligen Packeten beladen, erschienen und hatte Alle, die noch in der Stube waren, hinausgeschickt. Noch immer war die Thür geschlossen. Niemand durfte es wagen, die Stube zu betreten, nur verstohlen blickten die draußen Stehenden durch das Schlüsselloch. Endlich erschien der Feldwebel wieder, und einen Augenblick später wurde das Nahen des Hauptmanns mit seinen Offizieren und den Damen gemeldet. Mit einem freundlichen Zuruf begrüßte er seine Untergebenen und befahl dann einzurücken.
Auf den Fußspitzen gingen die Mannschaften in die Stube hinein, es war, als wenn eine heiligen Scheu sie ergriffen hätte, die sie verhinderte, sich wie sonst frei und ungezwungen zu bewegen. In einem Halbkreis stellten sie sich um die beiden großen, in dem Schein unzähliger Kerzen hell erstrahlenden Tannenbäume und ihre Augen hingen mit Ehrfurcht und Bewunderung an einer kleinen, roh gezimmerten Krippe, die die Erinnerung und das Bild der Geburt des Heilandes wieder in ihnen wachrief. Dann begannen die Sänger: erst leise, dann immer mächtiger und gewaltiger ertönte das Lied, das sie Alle in ihrer Jugend so oft gesungen und das nie aufhören wird, seinen Reiz auszuüben: „Stille Nacht, heilige Nacht.”
Athemlos lauschten Alle. Die feierlichen Klänge des Liedes, der helle Kerzenschein, das Bild des in der Krippe liegenden Erlösers, der betäubende Duft, den die Tannen ausströmten, das Alles vereinte sich, um eine Stimmung des Friedens und des ruhigen, seligen Glücks über Alle zu verbreiten. Die Erinnerung an die Jugendzeit wurde wieder wach; sie sahen sich zurückversetzt in das Elternhaus, wo sie voller Ungeduld die Minuten bis zum Einbruch des heiligen Abends zählten, wo sie in banger Ungewißheit waren, ob Knecht Rupprecht ihnen auch alle ihre Wünsche erfüllen würde, und sie fühlten den glückseligen Blick der Mutter auf sich ruhen, der es oft unter so vielen Entbehrungen und Sorgen gelungen war, ihrem Kinde eine Freude zu bereiten. Gar Mancher, der die Eltern verloren, glaubte die Stimme der Verstorbenen zu hören, gar Mancher glaubte den Druck von der Mutter Hand zu spüren und es war ihm, als führe die Mutter ihn hin zu dem brennenden Tannenbaum, falte ihm die Hände und heiße ihn niederknieen und mit ihr singen: „Stille Nacht, heilige Nacht.”
Wohl Keinen ergriff das Lied so wie den armen Zintelmann. Er wußte, jetzt hatten sie auch zu Hause den Tannenbaum angezündet, und er sah seine Mutter still vor sich hin weinen, weil er, ihr einziges Kind, in dieser Stunde nicht bei ihr sein konnte. Eine grenzenlose Sehnsucht befiel ihn, wie gern würde er jetzt auf einen kurzen Augenblick bei ihr sein. Wie zärtlich und liebevoll waren gewiß die Gedanken, die sie in diesem Augenblick für ihn hegte — ach, wenn sie wüßte, wie es um ihn stände, was er sich in unverantwortlichem Leichtsinn eingebrockt hatte und was er jetzt bei Wasser und Brod büßen sollte.
Das Lied war verhallt, und der Hauptmann trat vor, um in kurzer, zu Herzen gehender Ansprache auf die Bedeutung des Tages nochmals hinzuweisen. Dann erfolgte die Bescheerung; jeder hatte bekommen, was er sich gewünscht hatte, jeder, nur ein Einziger nicht, das war Zintelmann. Als die Reihe bei dem Namensaufruf an ihn kam, hatte er sich herangedrängt, um schnell vortreten zu können; aber sein Name wurde gar nicht genannt. Er fühlte die Blicke seiner Kameraden auf sich ruhen und empfand, wie ihm das Blut siedend heiß in die Wangen stieg. Gewiß, es mußte ein Irrthum vorliegen, so grausam konnte der Hauptmann nicht sein — aber als er auf die Frage, ob einer etwa versehentlich sein Geschenk nicht erhalten hätte, vortrat, schien ihn der Hauptmann gar nicht zu bemerken. Beschämt, den Blick zu Boden gesenkt, trat er wieder in das Glied zurück und wäre am liebsten vor Scham gestorben. Aber war er nicht selbst schuld an der Behandlung, die ihm zu Theil wurde, war es nicht natürlich, daß er schlechter behandelt wurde, als die Anderen, die voll und ganz ihre Schuldigkeit alle Zeit gethan hatten? Nein, er durfte Niemanden anklagen, als sich selbst, ihm wurde nur sein Recht.
Und wieder begann der Chor der Sänger. „Es ist ein Ros' entsprungen aus einer Wurzel zart,” klang es an sein Ohr und ihm wurde so traurig zu Muth, daß er die Thränen nicht mehr zurückzuhalten vermochte.
Jetzt zog der Feldwebel gar die Uhr; gewiß, es galt ihm, um acht Uhr war seine Frist abgelaufen und in wenigen Minuten mußte er bereit sein. Er sah, wie der Feldwebel leise mit dem Hauptmann sprach und wie Beider Augen suchend im Kreise umherspähten. Kein Zweifel, sie suchten nach ihm! Nein, sie durften ihn nicht weinen sehen, rasch fuhr er mit dem Rücken der Hand über die Augen und sah den Vorgesetzten scharf an.
Kaum war das Lied beendet, als der Feldwebel ihn auch schon bei Namen rief. Er trat vor und stellte sich in strammer Haltung vor seinen Hauptmann hin: „Musketier Zintelmann meldet sich mit drei Tagen strengem Arrest bestraft, weil er die Kaserne auf verbotenem Wege verlassen hat und tritt die Strafe um acht Uhran.&rdquo,
Er hatte den Blick, während er sprach, zu Boden gesenkt, so sah er nicht, wie sich auf den Gesichtern der Damen Theilnahme für ihn ausdrückte, er hörte nur einige leise Worte in fremder Sprache und instinktiv fühlte er, daß sie ihm galten. Eine plötzliche Hoffnung befiel ihn; wie, wenn die Damen für ihn gebeten hätten, wenn der Hauptmann sich vielleicht erweichen ließe, seine Strafe zu mildern?
Er erhob seine Augen und sah den Vorgesetzten so hülflos, flehentlich bittend an, daß dieser Mitleid mit dem vor ihm Stehenden zu fühlen begann. Einen Augenblick schwieg er noch, als kämpfe er mit einem Entschluß, dann sagte er endlich;
„Es war meine feste Absicht, Dich zu bestrafen, aber das ist eben das Schöne des Festes, das wir heute feiern, daß es die Herzen zur Milde stimmt, daß es das Böse, das wir erfahren, verzeihen läßt. So will auch ich verzeihen, wie Du mein Vertrauen getäuscht hast; ich habe Dich heute Abend wohl beobachtet und bemerkt, daß Du Dein Vergehen bereust. Ich will Dir verzeihen und Dir Deine Strafe erlassen. Aber versprich mir hier unter diesem Tannenbaum, daß Du Dich fortan so betragen willst, wie es einem pflichteifrigen Soldaten zukommt.”
„Ja, Herr Hauptmann, ich verspreche es,” das klang so bestimmt und feierlich, daß der Hauptmann ihm die Hand reichte und ihm befahl, sich später von dem Feldwebel sein Geschenk abzuholen.
Lange hatten die Offiziere die Stube verlassen, und die Kameraden hatten sich schon lange dem Genuß des gespendetern Bieres hingegeben, als Zintelmann noch immer im Anschauen versunken vor dem Tannenbaum stand. Die Lichter waren im Verlöschen, und nur zuweilen flackerte eine Flamme für eine Sekunde hoch auf, um bald darauf zu ersterben. Er merkte es nicht; er ließ den Duft der Tanne auf sich einwirken und feierte Weihnachten so, wie es gefeiert werden muß: dankbaren Herzens gegen Gott und die Menschen.